Guten Tag,
in unserem heutigen Newsletter veröffentlichen wir einen Gastbeitrag von Alexandra Post von KLIK e.V. und sagen gleichzeitig herzlichen Dank, Alex. Alex ist Sozialarbeiterin & Mitglied der Geschäftsführung KLIK e.V.
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Solidarische Grüße,
Stefan
Wieder eine parlamentarische Anfrage (Drucksache 19/23201, jüngst ergänzt durch 19/23246): Der sozialpolitische Sprecher der Grünen, Taylan Kurt, fragt, ob Berlin nicht eine Wohnungslosenkrise drohe, wenn schon 2025 über 56.000 Menschen wohnungslos sind – mit Aussicht auf eine Verdoppelung in den kommenden Jahren. Die Verwaltungsantworten sind präzise, die politischen Reaktionen ritualisiert: Sichtbarmachung – ja. Wirksame Veränderungen herbeiführen – nein.
Der politische wie professionelle Alltag gibt sich aufgeklärt, doch an den Lebensbedingungen der Betroffenen ändert sich nur marginal etwas. Verantwortlichkeiten werden hin- und hergeschoben, während die routinierte Verwaltung von Not und das Versprechen kommender „Strategiewechsel“ sich gegenseitig legitimieren. Parlamentarische Kontrolle erzeugt Transparenz, schafft aber kaum bindende Konsequenzen. Blindstellen und Verantwortungsdiffusion werden dabei nicht etwa trotz, sondern gerade durch eine immer ausdifferenziertere Verwaltung von „Wissen“ stabilisiert.
Ein Blick zurück auf Hans Achinger (Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik, 1958) zeigt: Viele Prinzipien heutiger Wohnungslosenhilfe wurden bereits in der Nachkriegszeit als gesellschaftspolitisch bedingte Selektionsmechanismen erkannt. Integration bleibt ein normiertes, über Verwaltung und professionelle Grenzarbeiten reguliertes Unterfangen. Was damals das „Normalarbeitsverhältnis“ war, sind heute Konstruktionen wie „Wohnfähigkeit“ oder „Mitwirkungsbereitschaft“. Die aktuelle GISS-Evaluation beschreibt exakt, wie daraus neue Zugangshürden entstehen: Wohnungslosigkeit verwandelt sich von einem sozialen Problem in eine Frage individueller Disziplin und Anpassung; Verwaltung und Hilfe reproduzieren Anforderungen, statt strukturelle Barrieren zu entfernen.
Was die GISS-Studie sichtbar macht, fordert deshalb mehr als eine technische Reformaufgabe: Sie zeigt, dass das Hilfesystem in Berlin weiterhin fragmentiert, exklusiv und in seiner Logik paternalistisch bleibt – selbst dort, wo es sich inklusiv nennt. Viele der sichtbar oder „verdeckt“ betroffenen Menschen fallen durch Raster, weil Angebote nach Vorleistungen, Bereitschaft oder steuerbarer „Wohnfähigkeit“ sortieren. Die Profession verstrickt sich im Versuch, Mangel effizient zu verwalten, statt gemeinsam politisch für einen Kurswechsel (Wohnen als Recht, nicht als Erprobungsfeld) einzutreten.
Dieses institutionelle Dilemma wird durch politische Haushaltsentscheidungen nur weiter zugespitzt. Trotz aller Evaluationen und Konzepte werden im Doppelhaushalt 2026/27 ausgerechnet Angebote für die Schwächsten weiter gestutzt (vgl. taz, 21.7.2025). Der Zugriff auf Ressourcen bleibt strategisch limitiert: Geld und Räume fließen nach wie vor um die größte Not herum, Verantwortung bleibt gestreut, Evaluationsergebnisse versickern in den laufenden Abstimmungen.
Die jüngsten parlamentarischen Nachfragen zu vulnerablen Gruppen (19/23246) bringen es noch deutlicher auf den Punkt: Für zentrale Schutz- und Bedarfsfragen besonders verletzlicher Menschen – Kinder, Alleinerziehende, Pflegebedürftige, LSBTIQ* – liegen keine konsistenten Daten, keine klaren Verantwortlichkeiten und kaum gemeinsame Standards vor. „Datenschutz“, „Komplexität“ und „laufende Abstimmungen“ erscheinen als Begründungsfolien fürs Nicht-Handeln. Das Wissen um systemische Exklusion ist zwar vorhanden, wird aber nicht zum Hebel politischen Handelns, sondern bleibt Teil der Verwaltungspraxis selbst.
Berlin zeigt: Die Schlüsselprobleme der Wohnungslosen- bzw. „Wohnungsnotfall“hilfe sind erkannt, es gibt Lösungsideen, die geprüft und teils erprobt wurden – und doch bleibt die politisch-administrative Bearbeitung beharrlich defensiv. Soziale Arbeit managed den strukturell orchestrierten Mangel, parlamentarische Initiativen mahnen und wissenschaftliche Evaluationen dokumentieren. Man könnte all das auch als institutionelle Absicherung des sozialpolitischen Stillstands beschreiben. Exklusion ist somit eine eingebaute Funktion während „Inklusion“ als Fahnenwort zur Mobilisierung der mittlerweile auf Ehrenamtspauschalen umgestellten Sozialarbeitenden dient, die zur nächsten Hitzewelle wenigstens kostenlos Wasser und Sonnencreme an obdachlose Menschen verteilen.
Quellen:
Foto: @Alex Post - wir backen uns ein häuschen. projekt goldmarie, the hub berlin e.v. & klik e.v
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